Klassensprachen und politisches Publizieren in Berlin

Was heißt politisches Publizieren heute? Diese Frage diskutieren die Herausgeber_innen der Zeitschriften Phase 2, Starship, HATE und Fehras Publishing Practices im Rahmen des Projekts «Klassensprachen» im District Berlin.
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Klassensprachen

«Klassensprachen», District Berlin, 21.7.2017, Foto: Christiane Kues

Pünktlich zum Beginn des Christopher Street Days in Berlin war ich auf dem Weg in die südliche Peripherie Berlins, d.h. raus aus dem Ringbahnring ins südliche Industriegebiet zu District Berlin, einem gemeinnützigen Ort für Kunst-und Kulturförderung. Anders als am Wochenende zuvor, an dem die Miss Read-Fachmesse für Kunstpublikationen und DIY-Publishing mit mehr als 200 Teilnehmer_innen im Haus der Kulturen der Welt stattfand, richtete sich das Projekt «Klassensprachen» im District an einen kleineren Publikumskreis, der sich für Off-Center-Produktionen, politische Zeitschriften oder etwas weniger durchprofessionalisierte Ausstellungsformate interessiert, oder einfach befreundet ist. Die Veranstalterinnen Manuela Ammer, Eva Birkenstock, Jenny Nachtigall, Kerstin Stakemeier und Stephanie Weber sind hauptberuflich alle im akademischen und kuratorischen Bereich an renommierten Institutionen tätig. Ihre Zusammenarbeit «Klassensprachen» ist ein langfristig angelegtes Projekt, das den Anspruch hat, mit den eigenen Gewohnheiten des Publizierens zu brechen, professionalisierte Formen des Schreibens über Kunst neu zu konfigurieren und Konfrontationsformen zu finden, die dies unterstützen. So umfasst das Projekt, neben einer Ausstellung, ein zweitägiges Programm mit Diskussionen, Performances und ein Magazin. Was ist unter «Klassensprachen» zu verstehen? Im Pressetext greifen sie auf den Linguisten Valentin Voloshinov zurück, der in den 1920er-Jahren ein an den Marx’schen Theorien von Gesellschaft orientiertes Verständnis von Sprache eingefordert hat, in welchem der Kampf um Bedeutung als untrennbar mit dem Kampf der Klassen verstanden wird. Die Veranstalterinnen fragen danach, «welche Klassen heute aus uns sprechen – nostalgische, gegenwärtige, zukünftige, exklusive oder inklusive», und möchten Formen «praktischer Solidaritäten innerhalb und jenseits der Kunst» finden.

In der Podiumsdiskussion «politisch/künstlerisch Publizieren: Einige Modelle» wurde beides diskutiert, einerseits die Produktionsbedingungen und andererseits Möglichkeiten der Solidarität. Eingeladen, sich vorzustellen, waren die drei Zeitschriften, Phase 2, Starship und HATE sowie das Kollektiv Fehras Publishing Practices.

Robert Zwarg, ein ehemaliger Mitherausgeber von Phase 2 (2001–2016), einem antifaschistischen linksradikalen Theoriemagazin, beschrieb, wie das Magazin einen Wandel durchlief, von einer kollektiven Erarbeitung von Fragestellungen und Thesen (oftmals in gemeinsamen Texten) hin zu zunehmend individuellen Beiträgen. Diese Entwicklung spiegle die zunehmende Partikularisierung und Akademisierung der radikalen Linken in dieser Zeit. Während diese Entwicklung bei Phase 2 letztlich zur Einstellung des Betriebs führte, war sie für das HATE Magazin (2008–heute) ein Ausgangspunkt. Das Magazin wurde gemäß Mitherausgeber Jonas Gempp gegründet, um einer «Uni-Linken» entgegenzuwirken, die sich nur mehr darauf beschränkte, selbstreferentielle Texte für einen ausgewählten Kreis zu verfassen. Ein Ausweg schien ihm ein radikal subjektives Fanzine zu sein, das als solches vermag, unterschiedliche Szenen zu durchqueren. Radikal subjektiv ist auch die Zeitschrift Starship (1998–heute), die gemäß Gründungsmitglied Ariane Müller zwar von Künstler_innen produziert wird und sich auch im Kunstfeld verortet, aber doch eher Texte zu Stadt- und Genderpolitik veröffentlicht als Kunstkritik. Dabei ist die Form ebenso offen wie die Themen. Für das Panel ausgewählt wurde es vermutlich nicht zuletzt wegen dieser Breite an unterschiedlichen Sprachen. Die Arbeitsweise der Künstlergruppe Fehras Publishing Practices (Kenan Darwich, Omar Nicolas und Sami Rustom), die mit unterschiedlichen Hintergründen zu Fragen der Geschichtsschreibungen in Nordafrika und dem nordöstlichen Mittelmeerraum arbeiten, stellt die Frage nach der Klassensprache in postkolonialer Perspektive. Durch die Beschäftigung und den Austausch mit der arabischsprachigen Welt stellt sich für sie immer wieder das Problem der Übersetzung. Insbesondere im Feld der zeitgenössischen Kunst wird Arabisch vornehmlich als übersetzte Sprache rezipiert. 

In der anschliessenden offenen Diskussion kamen die Teilnehmenden dann nochmals auf die Produktionsbedingungen von Publikationen zu sprechen. Dass die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Klasse dabei dann nur selten direkt zur Sprache kam ist schade, indirekt war sie jedoch durchaus präsent, indem etwa aufgezeigt wurde, in welchen Kontexten welche publizistischen Praxen überhaupt möglich sind.