Stalins neue Kunstschüler?

Als «Kunststalinisten» und «Stalins neue Kunstschüler» beschimpft der Kulturpublizist Daniel Haas jüngst Künstlerkollektive wie das Zentrum für Politische Schönheit in der Neuen Zürcher Zeitung. Ein Kommentar dazu, wie bürgerliche Kunstkritik politische Aktionskunst zu diffamieren versucht.
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Soko Chemnitz Honeypot2Soko-Chemnitz, 2018, Foto: Zentrum für Politische Schönheit

Gerade war das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) in der Ausstellung Der Wert der Freiheit im Belvedere Museum Wien und dem Herbstsalon des Berliner Gorki-Theater zu sehen und das Kollektiv Peng war an der letzten Manifesta in Palermo vertreten. In einem aggressiv-polemischen Artikel Künstler, macht es doch einfach wie Stalin! vom 12.12.2018 griff Daniel Haas also inzwischen durchaus renommierte Positionen des Kunstbetriebes mit einem Vergleich an, der, wohlgesonnen formuliert, an Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt, der aber, zutreffender, als unverschämt und diffamierend bezeichnet werden muss. ‹Stalinistisch›, so der Duden, bedeutet nämlich: «Züge des Stalinismus tragend», also totalitäre, ideologisch-dogmatische Züge, die auch ‹Säuberungen› legitimieren, sprich: das millionenfache Töten von politischen Gegnern. Die Diffamierung von Haas überrascht um so mehr, als die Themen dieser Künstlergruppen, wie wir gleich sehen werden, stets einen humanistischen Anspruch besitzen und weil bei diesen Aktionen, wie Mely Kiyak in ihrem Aufsatz Warum fällt es der Kunstkritik so schwer, das Zentrum für Politische Schönheit als das zu betrachten, was es ist: als Kunstwerk? über das ZPS zutreffend schreibt, dieses «noch nie jemandem Schaden zugefügt» hat. [1]

Totet Koppel InseratTötet Roger Köppel - Roger Köppel tötet, 2015, Anzeige im Strassenmagazin Surprise, Foto: Zentrum für Politische Schönheit 

Erinnern wir uns: In der Schweiz ist das Zentrum für Politische Schönheit 2015 berühmt-berüchtigt geworden wegen seiner Aufforderung «Tötet Roger Köppel / Köppel Roger tötet», die auf einem Theaterplakat im Schweizer Strassenmagazin Surprise veröffentlicht wurde. Mit dieser Aktion wollte das Berliner Künstlerkollektiv gegen die rechtspopulistische und fremdenfeindliche Politik des SVP-Nationalrats und Weltwoche-Chefredakteurs Köppel mobil machen und dies offensichtlich mit den Mitteln der künstlerischen Fiktion. Letzteres war nicht zuletzt durch das genutzte Genre Theaterplakat überdeutlich, aber auch dadurch, dass die Aktion eindeutig Christoph Schlingensief zitierte, der 1997 auf der documenta x in Kassel mit einem Schild herumlief, auf dem «Tötet Helmut Kohl» geschrieben stand. Ein Jahr später setzte das ZPS mit ihrer Aktion Schweiz entköppeln ihr künstlerisches Engagement gegen den Rechtspopulisten fort, dieses Mal fordert die Gruppe dazu auf, den fremdenfeindlichen Geist, von dem Köppel besessen sei, zu exorzieren. Dabei vergleicht – ‹vergleichen› bedeutet übrigens nicht, etwas als gleich zu behaupten, sondern Ähnlichkeiten und Differenzen zu benennen – das ZPS den Geist Köppels mit dem von Julius Streicher (1885-1946), dem Herausgeber des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer. Schon diese beiden Aktionen wurden damals von der Neuen Zürcher Zeitung kritisch besprochen und schon damals war die Kritik eine überaus aggressive. So schrieb Thomas Ribi in seinem Kommentar Der Geist der Dummheit vom 17.3.2016 davon, dass es sich bei der Arbeit vom ZPS um ein «intellektuelles Harakiri» handle, schlimmer noch: «Im Geiste der Säuberung… soll ein Geist ausgetrieben werden, der nicht allen in den Kram passt». Bezeichnend ist, wie hier Rechtspopulismus verharmlost und gleichzeitig politische Kunst dramatisch verteufelt wird, letzteres mit implizierter Andeutung des Vorwurfes einer stalinistischen Haltung. Auffallend auch, dass der politischen Kunst des ZPS dann prompt auch noch abgesprochen wird, überhaupt Kunst zu sein. So etwa, wenn die Surprise-Aktion des ZPS von Ribi polemisch abgekanzelt wird mit den ironisch-zynischen Worten: «Das war natürlich kein Aufruf zur Gewalt. Nein, das war Kunst!» Oder wenn er dann einige Absätze später die Arbeit des ZPS als eine «als Aktionskunst getarnte Kampagne» abwertet. Das ästhetische Moment dieser Aktionen wird schlicht geleugnet, darum wird auch von dem Schreiber nicht erwähnt, dass es sich bei «Tötet Roger Köppel / Köppel Roger tötet» um ein Schlingensief-Zitat handelt, die Aktion also im intertextuellen Geflecht der Kunst verortet wurde. Christoph Schlingensief als Stalinist zu bezeichnen, wäre zudem wohl selbst für die Neue Zürcher Zeitung zu viel gewesen.

Schweiz entkoppelnSchweiz entkoppeln Exorzismus farbig Schweiz entköppeln, 2016, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Theater Neumarkt, Foto: Zentrum für Politische Schönheit

Zurück zu Daniel Hass und seinem aggressiv-polemischen Artikel Künstler, macht es doch einfach wie Stalin!. Anlass für seinen Text war unter anderem die Aktion Soko-Chemnitz des ZPS aus dem Dezember letzten Jahres. Auf der gleichnamigen Internetseite Soko-Chemnitz bat die Gruppe «die Bevölkerung um Mithilfe» und rief dazu auf, Nazis, die an der rechtsextremen Demonstration im ostdeutschen Chemnitz drei Monate vorher teilgenommen hatten, ausfindig zu machen: «Wo arbeiten diese Gesinnungskranken? Wer beschäftigt sie?» hiess es da, weiterführende Antworten sollten mit Geldzahlungen belohnt werden. Steckbriefartig waren zudem Fotos von diesen selbsterklärten Nazis zu sehen, die dann an ihren (womöglichen) Arbeitgebern gemeldet werden sollten. Als ‹selbsterklärt› galten diese Nazis, da sie sich stolz öffentlich in den sozialen Netzwerken selbst als solche in recht(s) eindeutigen Posen präsentierten. Drei Tage nach dem Launch der Internetseite Soko-Chemnitz wurde diese dann wieder abgeschaltet, das ZPS erklärte die Aktion als erfolgreich beendet, habe sie doch mithilfe der Auswertung der Reaktionen der rechten Szene auf Soko-Chemnitz die bisher nicht restlos bekannte Struktur dieses Nazi-Netzwerks transparent machen können, vom Melden der Nazis an ihre Arbeitgeber war keine Rede mehr. Als sogenannter ‹Honeypot›, als wohlkalkulierte Falle also erwies sich schliesslich diese selbstverständlich nicht unumstrittene Internet-Aktion.

Soko ChemnitzSoko Chemnitz Ausschnitt SuchbilderSoko-Chemnitz, 2018, Webseite mit dem Aufruf, Foto: Zentrum für Politische Schönheit

Die Besprechung dieser Aktion in Haas’ Artikel aber ist höchst fragwürdig. So spricht der Journalist etwa davon, und diese Fehlinterpretation ist ein Ausgangspunkt für seine Behauptung des sich hier angeblich ereignenden Stalinismus, dass auf der Internetseite Soko-Chemnitz «denunziert und attackiert wird im Namen der gerechten Sache». ‹Denunzieren› bedeutet, jemanden aus persönlichen niedrigen Beweggründen anzeigen, als Synonyme gelten ‹verraten› und ‹verpetzen›. Nun zeigt das ZPS die bekennenden Nazis weder (bei der Justiz) an, noch ‹verrät› es diese, da sie sich ja selbst auf der öffentlichen Demonstration in Chemnitz und auf ihren Webseiten schon zuvor als solche geoutet hatten. Das hält Haas nicht davon ab, in seiner Beweisführung von «1542 mutmasslichen Mitgliedern der rechtsextremen Szene» zu reden. Und auch von besagten «niedrigen Beweggründen» einer Denunziation kann hier keine Rede sein, Haas selbst erwähnt ja die «gerechte Sache». Richtig ist, dass das ZPS in Soko-Chemnitz theatralisch mit dem Moment des Meldens spielt, um einen partizipatorischen Aspekt in ihre mediale Performance zu integrieren. Und diese Form der Partizipation erfordert dann, dass der eventuelle Mitspieler und die eventuelle Mitspielerin Haltung bezieht: Will er / sie sich auf diese Form von öffentlicher Anprangerung – denn genau darum handelt es sich hier – einlassen oder nicht? Will er / sie das Problem des Neonationalismus im wahrsten Sinne des Wortes «beim Namen nennen» oder will er / sie es weiterhin nur im abstrakten Allgemeinen, im besten Falle (theoretisch korrekt) strukturell diskutieren? Diese Form des aktiven Mitdenkens, die spätestens seit Bertolt Brechts ‹epischem Theater› ein fester Bestandteil der Grammatik nicht nur des Theaters ist, und Mithandelns diskreditiert Haas mit den krassen, wieder seinen Stalinismus-Vorwurf untermauernden Worten: «Es gibt bei dieser Kunst kein Entkommen, in den Rezeptionsknast muss jeder». Und dann redet er, den Einfluss der Kunst gnadenlos-fahrlässig überschätzend, sogar einen totalitären Zustand herbei und fabuliert davon, dass «die Gesellschaft von den Kunststalinisten überwacht und eingeschüchtert» wird.

In diesem Kontext nun auch hat der Kurator und Kulturkritiker Florian Malzacher in seinem Aufsatz Aktivismus als Aufführung festgestellt, dass die Projekte des ZPS diejenigen, die mit diesen «in Berührung kommen, dazu zwingen sich zu verhalten». Doch Malzacher sieht diesen Zwang weder als totalitär noch als negativ an, vielmehr betont er die Qualität von diesem «Haltungsdruck», der nicht zuletzt aus dem Gegensatz von «künstlerischer Ambivalenz» und «klaren politischen Zielformulierungen und Interpretationsanweisungen» sowie der Aufforderung zur Partizipation generiert wird. [2] Dieser Haltungsdruck nämlich verhindert einerseits, dass die Kunst des ZPS bloss passiv rezipierbar ist und so die (bürgerliche) Trennung von Produzent/in und Rezipient/in untermauert. Und andererseits wird dafür gesorgt, dass die von diesem Haltungsdruck initiierte Partizipation eine ist, die keine hedonistischen Züge aufweist wie etwa die Partizipation, die meist typisch ist für die relationale Ästhetik (Nicolas Bourriaud) der 1990er Jahre. Vielmehr weckt diese Teilhabe an den Aktionen des ZPS dezidiert unbehagliche Gefühle bei dem eigenständig Mitdenkenden und Mithandelnden, die sich klarerweise freiwillig auf die ‹Berührung› mit diesen Aktionen einlassen. Der so zu verarbeitende Haltungsdruck wird in postmodernen und postdemokratischen (Colin Crouch) Zeiten, in denen politische Entscheidungen von nicht Wenigen als allzu mühsam – es ist ja alles so komplex und mehrdeutig und meistens entscheiden ja sowieso die gewählten Repräsentant/innen und ihre Lobbyisten-Berater/innen … – angesehen werden, dann oft als überflüssige Zumutung begriffen. Dieses offensichtlich selbst dann, wenn es sich um so überaus eindeutig zu kritisierende Dinge wie Volksverhetzung handelt. In einem wenn man so will ‹meinungslosen› und politikverdrossenen Kontext wie diesen, formuliert sich die künstlerische Arbeit des ZPS, so Malzacher, mit ihren klaren politischen Zielformulierungen und wohlkalkulierten Realitätsaufladungen als eine, die eben nicht als autonom-auratische Kunst inklusive interesselosem Wohlgefallen (Immanuel Kant) verstanden werden kann. Er schreibt: Ihre Performances «führen Momente der Fiktion und ambivalente Bilder in die Realität ein, ohne aus dem Politischen zu fliehen oder eine Autonomie der Kunst zu fordern». Im Fall von Soko-Chemnitz spielte zum Beispiel der Titel auf eine fiktionale deutsche Krimiserie an und die inszenierte Internet-Seite pendelte ambivalent zwischen der in Fotos nachgewiesenen Tatsache der Teilnahme an der rechtsextremen Demonstration in Chemnitz und der letztlich nur behaupteten Meldung an die Arbeitgeber. Auch das Interesse dieser künstlerischen Setzungen benennt Malzacher präzise: «Sie erzeugen Verschiebungen in der Wahrnehmung des Realen, die Möglichkeiten des Handelns aufzeigen – darin liegt ihr radikales Potential». [3]

Mitdenkenden Menschen Möglichkeiten des politischen Handelns aufzuzeigen, die jenseits des zuvor Wahrgenommenen liegen – ohne es explizit zu wollen, hat Malzacher mit seinen Ausführungen nichts weniger als das Gegenteil von einer politisch-stalinistisch geprägten Situation beschrieben. Auf der Hand liegt, dass Haas an solch politischen Dynamiken nicht im Geringsten interessiert ist. Er spricht dem ZPS darum schlichtweg ab «demokratische Probleme aufgegriffen zu haben», attestiert der Gruppe stattdessen mit beleidigender Polemik eine aus «narzisstischer» Gewinnsucht hervorgehende populistische Strategie. Dass das ZPS mit Soko-Chemnitz unter anderem auf das die Demokratie bedrohende Problem hinweist, dass die deutsche Justiz die hier vorgestellten Rechtsextreme nicht strafrechtlich verfolgt, obwohl sie seit Monaten im Internet öffentlich volksverhetzend tätig sind, dieses ist Haas dann aber doch nicht entgangen. Statt diese Justiz aber einer öffentlichkeitswirksamen Kritik durch Kunst auszusetzen, schlägt er vor, diese «rechtsstaatlichen Institutionen … zu stärken», ganz so als hätten diese Institutionen aus Schwäche und nicht aus politischer Überzeugung diese Strafverfolgungen unterlassen – politisch naiver geht es kaum. Der Hang Politik dort zu lassen, wo sie seit längerem nicht mehr funktioniert, geht hier dann einher mit dem Versuch politische Kunst gezielt zu domestizieren, und zwar dadurch, dass man ihr mehr oder weniger dezidiert vorschreibt als autonome, nichts wollende Kunst brav nur im eigenen Revier friedlich zu grasen. Wer im richtigen Leben ‹wildert›, der bekommt die Höchststrafe der nun alles andere als rational argumentierenden Kritik, und wird als stalinistisch beschimpft oder flugs aus dem Kunstkanon verwiesen. Ein wenig mehr Anstand und Niveau wäre der Neuen Zürcher Zeitung doch zuzutrauen, Künstler/innen sind kein Freiwild.

 

[1] Mely Kiyak, «Warum fällt es der Kunstkritik so schwer, das Zentrum für Politische Schönheit als das zu betrachten, was es ist: als Kunstwerk?», in: Haltung als Handlung, hrsg. von Miriam Rummel, Raimar Stange und Florian Waldvogel, Berlin 2018, S. 331–336.
[2] Florian Malzacher, «Aktivismus als Aufführung», in: Haltung als Handlung, hrsg. von Miriam Rummel, Raimar Stange und Florian Waldvogel, Berlin 2018, S. 320–330, hier 323.
[3] Florian Malzacher, «Aktivismus als Aufführung», in: Haltung als Handlung, hrsg. von Miriam Rummel, Raimar Stange und Florian Waldvogel, Berlin 2018, S. 320–330, hier 329.